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Bei einem Überraschungsurteil: Gericht darf Klageabweisung nicht auf unerörterte Gesichtspunkte stützen

Bei Rechtsstreitigkeiten vor den Finanzgerichten (FG) gelten wei bei allen Gerichten die Grundsätze rechtlichen Gehörs. Demnach müssen die Prozessbeteiligten die Gelegenheit erhalten, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden soll. Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten zuvor hatten äußern können. Stützt das Gericht seine Entscheidung auf einen Gesichtspunkt, auf den es die Beteiligten zuvor nicht hingewiesen hat und der dem Rechtsstreit eine unerwartete Wendung gibt, kann ein Verfahrensmangel in Form der Verletzung rechtlichen Gehörs vorliegen. Man spricht in diesem Fall von einer Überraschungsentscheidung.

Hinweis: Die Prozessbeteiligten müssen zwar von sich aus - bei umstrittenen und problematischen Rechtslagen - alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte in Betracht ziehen und ihren Sachvortrag darauf einstellen. Sie müssen aber nicht damit rechnen, dass ihre Klage aus einem Grund abgewiesen wird, den weder die Beteiligten noch das Gericht zuvor in das Verfahren eingeführt haben.

Wie ein solcher Verfahrensmangel aussehen kann, wird anhand eines neuen Beschlusses des Bundesfinanzhofs (BFH) deutlich: Im vorliegenden Fall war vor dem FG München strittig gewesen, ob ein steuerpflichtiger Gewinn aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen entstanden war, obwohl über das Vermögen der Gesellschaft zuvor das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Fraglich war zudem, ob die Wertlosigkeit der Anteile bei Veräußerung nachgewiesen war. Bei dieser Sachlage hatte das FG München die Klage ohne mündliche Verhandlung abgewiesen und sich auf eine völlig neue Begründung gestützt: Die Anteilsveräußerung sei ein Vertrag zwischen nahen Angehörigen, der steuerlich nicht anzuerkennen sei, da die Anteilserwerberin nicht (wie zwischen fremden Dritten üblich) im Aktienregister eingetragen war.

Der BFH hob das klageabweisende FG-Urteil nun auf und verwies dies Sache zurück an das FG zur anderweitigen Verhandlung. Die Bundesrichter sahen in dem Urteil eine Überraschungsentscheidung und verwiesen darauf, dass die Kläger mit der Wendung im Prozess nicht hätten rechnen müssen, zumal die Begründung des Gerichts auch noch rechtlich fehlerhaft war. Bei einer zivilrechtlichen Übertragung von Anteilen ist es nämlich gar nicht erforderlich, dass die Erwerberin im Aktienregister eingetragen ist.

Hinweis: Die Entscheidung zeigt, dass überraschende Entscheidungen des FG mit Erfolg angefochten werden können, wenn die Begründung auf bislang unerörterten, vollkommen neuen Gesichtspunkten fußt.

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(aus: Ausgabe 04/2023)

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